Decolonial Translation Group



Die Sicht des PIR auf die Morde von Toulouse

(Aktueller Stand dessen, was wir über den Fall Mohamed Merah wissen und unter Vorbehalt neuer Erkenntnisse)

 

Von PIR

 

In der gerade vergangenen Woche (23. März), hat Mohamed Merah, der sich zu Al Qaida bekennt, mehrere Morde in Montauban und Toulouse verübt, dabei verwundete er einen martiniquesischen Soldaten so schwer, dass dieser nun im Koma liegt, und tötete drei maghrebinische Armeeangehörige sowie vier jüdische Personen, unter ihnen drei Kinder. Was auch immer seine Rechtfertigung sein mag, wir verurteilen diese Tat auf das Schärfste, besonders was die Kinder angeht. Wir trauern mit den maghrebinischen, jüdischen und antillischen Familien, die Nahestehende verloren haben, und sprechen ihnen unser tiefes Mitgefühl aus.

 

Wir fühlen sowohl Wut als auch Bitterkeit angesichts der Tat dieses jungen Mannes, der vorgab für die Anliegen der Palästinenser und Afghanen zu kämpfen. Mit seiner Tat verdreht er deren berechtigte Anliegen, indem er ihre Botschaft beschmutzt und die Seite derer stärkt, die er zu bekämpfen vorgab. Einen Monat vor den Präsidentschaftswahlen mobilisiert sein mörderischer Wahnsinn auf der einen Seite erneut den Wahlkampf von Nicolas Sarkozy sowie von Marine Le Pen und schwächt zur gleichen Zeit die Bestrebungen der antirassistische und anti-imperialistischen Bewegung in ihrem erbitterten Kampf für Gerechtigkeit und Freiheit.

 

Nichtsdestotrotz wäre es falsch zu denken, Mohamed Merahs Rachefantasien kämen aus dem Nichts. Die schreckliche Gewalt, die sich hier zeigt, wurde seit Jahren genährt von den kalten Gründen der mörderischen Kriege, die mit Unterstützung der israelischen Regierung von den Großmächten in Afghanistan, Irak und anderswo geführt werden. Wie hatte man nur nicht vorhersehen können, dass all dies eines Tages zu gewalttätigen Ausschreitungen führen würde, deren Ziel die französischen Juden und Jüdinnen sind, die andauernd von der israelischen Propaganda mit dem Zionismus gleichgesetzt werden? Vor allem diese Verknüpfung muss überwunden werden, um die Verwechslung zwischen Juden und Jüdinnen mit Israel zu vermeiden. Und gerade hierin liegt die Ehrenhaftigkeit der antizionistischen Bewegung: in ihrem Einsatz für die Befreiung der Palästinenser ebenso wie der der Juden und Jüdinnen.

 

Wie hatte man nur übersehen können, dass die waschsende Islamophobie,

die sich bis zum Erbrechen zeigt und die nun zu einem zentralen Wahlkampfthema wird, schließlich einige Mitglieder gewalttätiger Splittergruppen zum Handeln bewegen würde? Solch ein ideologisch-politischer Hintergrund konnte nicht ignoriert werden. Schon jetzt wurde dieses Verbrechen instrumentalisiert und mit einer ganzen Community in Verbindung gebracht, wie der Crif skandalöserweise gezeigt hat, als er – nachdem die Identität des Täters bekannt wurde – eine gemeinsame Demonstration mit Muslimen absagte. Wir demonstrieren nicht gemeinsam mit den Schuldigen! Es handelt sich um eine beschämende Haltung den Opfern gegenüber, unverantwortlich und gefährlich. Die Gefühle, die durch diese Tragödie ausgelöst wurden, dürfen in keinster Weise die Geisel der Interessen von Politiker_innen und Lobbyist_innen werden. Im Gegenteil sollte dies ein Anlass für die französische Gesellschaft sein, gemeinsam über die Verheerungen der nationalen und internationalen politischen Entscheidungen nachzudenken, die dem Gemeinwohl entgegenstehen. Anders Behring Breivik und Mohamed Merah sind keine Unfälle auf europäischem Boden. Sie sind Ausdruck des unglaublichen Durcheinanders, das vom rassistischen und imperialistischen System hervorgerufen wurde. Sie sind zur selben Zeit deren Folgen und Symptome. In diesem Sinne sind sie sehr wohl Ausgeburten Europas.

 

 

Von Isabel Dean übersetzt.

Revidiert von Emilia Roig.